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40-jähriges Priesterjubiläum Pfarrer Thomas Keßler

Am 25.2. feierte die Pfarreiengemeinschaft St. Martin, Brend den 40. Jahrestag der Priesterweihe ihres Pfarrers Domkapitular Thomas Keßler. Der Tag begann mit einem feierlichen Festgottesdienst, anschließend war Empfang im Pfarrheim Brendlorenzen. Ministranten, Musiker, Helferinnen und Helfer aus allen Gemeinden der PG trugen zum Gelingen dieses Tages bei. Der Tag schloss mit einem feierlichen Abendlob und einem Abendessen.

Die Predigten, die Pfarrer Thomas Keßler an seinem Jubiläum hielt - zuerst die vom Festgottesdienst, dann die vom Abendlob.

40. Weihetag – Predigt 25. 2. 2024

Lesung  Gen 12,1 – 4

Liebe Schwestern und Brüder!

Noch während meiner Studienzeit hat mich mein verstorbener Onkel Pfarrer Ludwig Schinke gebeten, zu seinem 80. Geburtstag die Predigt in Unterelsbach zu halten. Mein Onkel war ein unkonventioneller Pfarrer. Auch im Alter fuhr er noch mit seinem Wohnwagen in Urlaub nach Jesolo. Spannend dabei war, dass er mit dem Gespann überhaupt nicht rückwärts fahren konnte. Auf dem Campingplatz haben ihm immer die Holländer geholfen. Eben schon ein besonderer Onkel. Damals habe ich angesichts seiner Mobilität die Abrahamsgeschichte als Lesungstext gewählt. Seitdem hat sie mich begleitet. Auch bei der Dankandacht nach der Priesterweihe in der Michaelskirche des Priesterseminars haben wir Neupriester uns für diesen Text entschieden. Manches mal dachte ich mir dann als Priester: Lieber Gott, du meinst es da ganz schön wörtlich mit mir. Denn es gab für mich von der Kaplanszeit bis hin zum Pfarrer Stellenwechsel und Orte, die ich so nicht in meinem Plan hatte. Ein plötzlicher Wechsel als Kaplan von Kleinwallstadt nach Stockstadt innerhalb einer Woche, meine erste Pfarrstelle ganz im Osten des Bistums – obwohl ich ganz in den Westen wollte. Das Ja dazu zu sagen, war aber immer gut. Und schließlich der Umzug nach Würzburg. Immerhin blieben zwischen bischöflichem Anruf und Umzugswagen vor der Haustür in Bad Kissingen doch zweieinhalb Monate.

40 spannende Jahre, für die ich dankbar bin. In dieser Zeit ist  viel geschehen, gerade auch in der Kirche, in unserem Bistum.  Erste Erfahrungen der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden in Pfarrverbänden, dann die Pfarreiengemeinschaften und jetzt der Pastorale Raum, wo ich das vor Ort mitzugestalten versuche, was ich selbst angestoßen habe. Das ist auch reichlich spannend.

In der Situation in der wir als Kirche jetzt stehen, da in unserer Gesellschaft  das Christsein immer mehr hinterfragt wird und im Blick auf die Grenzen, an die wir stoßen, möchte ich nach diesen Jahren im priesterlichen Dienst sagen: Der Abraham hat es nach wie vor in sich!

Mit der Einstellung des Abraham dürfen wir nämlich jeden Tag als Herausforderung Gottes auffassen: “Brich auf! Zieh fort!“  Ich gebe zu: eine ungewohnte Beschreibung des Glaubens! Die Geschichte des Abraham mit Gott beginnt mit einem Ruf: “Verlass deine Heimat, deine Verwandtschaft, dein Vaterhaus!“ - „Verlass – brich auf!“ Das gilt für uns heute ebenso wie für den 75-jährigen Abraham. Es geht nicht darum, unsere Häuser auf Räder zu stellen. Es geht um etwas ganz anderes, nämlich: „Was muss ich alles sein lassen, um Gott zu finden, was steht meinem Blick auf Gott im Weg?“ Das ist für uns eine Kernfrage unseres Glaubens.

„Verlass – brich auf!“ Abraham, der Freund Gottes, lässt sich von seinem Freund Gott aus gesichertem Wohlstand in die Wüste schicken. Und er geht, weil Gott seinen Anspruch mit dem Zuspruch verbindet: „Ich will dich segnen und du wirst ein Segen sein für alle!“ Abraham verlässt nicht nur seine Heimat, er verlässt sich vor allem auf Gott.

Der Jesuitenpater Alfred Delp hat es in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts so ausgesprochen: „Mensch, lass dich zu deinem Gott hin und du wirst dich selbst wieder haben.“

Eine Antwort auf die Frage, was glauben heißt, könnte auch so lauten: “Glauben ist ein langer Weg, aber einer mit einem Ziel und einer Vision.“ Das dürfen wir auch bei all den Überlegungen für die Ziele unseres Bistums nicht aus dem Blick verlieren.

Ich hatte einmal in den 90er Jahren eine   junge Pastoralreferentin im Team , die Schüler und Schülerinnen bei Orientierungstagen begleitete. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt: “Ich möchte, dass sie „Sehnsucht nach mehr“ bekommen!“

Wer sich wie Abraham von Gott auf den Weg schicken lässt, ausgerüstet nur mit dem Wort seiner Verheißung, der kann sich immer wieder sagen: „Weniger ist mehr.“

Wenn die Kirche, gerade bei uns in Deutschland, eine Diözese, wenn eine Gemeinde, eine Pfarreiengemeinschaft, wenn ein  Priester mit dieser Einstellung „Weniger ist mehr“ in der Spur des Abraham gehen, dürfen sie auf eine Seelsorge der Quantität verzichten und werben für eine Seelsorge der Qualität: Das Ganze im Auge, aber immer nur im Fragment. Nicht die Menge der pastoralen Initiativen, das Wahrnehmen aller Möglichkeiten, die eigenen Ansprüche an sich selbst als Pfarrgemeinderat oder Gemeindeteam, das Erfüllen aller Erwartungen macht`s, sondern ob es gewachsen und gereift ist. Beim Hefeteig sagt man: Ob er aufgegangen ist.

Meine Brender oder genauer meine Lorenzer Vorfahren hatten hier in der Brender Flur Äcker. Das wissen manche von Ihnen noch besser als ich: auf einem Acker, der immer nur gepflügt wird, kann nichts wachsen.

„Weniger ist mehr.“ - Vor mehr als 80 Jahren hat eben der schon erwähnte Ordensmann Alfred Delp erkannt: “Wir in Deutschland sind Missionsland geworden. Die Umwelt und die bestimmenden Faktoren allen Lebens sind unchristlich.“ Ein hartes Wort. Heute sind wir zumindest säkularer geworden. Der Glaube und Kirche prägen nicht mehr die Gesellschaft.

Stimmt man dieser Diagnose zu, kann es uns nicht länger um eine  Pastoral gehen, die alles erfassen will. Dann kommt es darauf an, die strategisch wichtigen Posten zu besetzen, Initiativen zu ergreifen, die Signalwirkung  haben, nicht das zu verdoppeln, was andere sowieso schon tun, sondern das zu entdecken, was fehlt. Ich denke da zum Beispiel an das Gebet um den Heiligen Geist, die Pfingstnovene, die in mehreren unserer Gemeinden schon vorbereitet wird.

Nicht die Menge macht´s! Unser geistliches Selbstbewusstsein als Glaubende darf getragen sein von Gelassenheit und Leidenschaft.

Nur wer sich immer wieder sagt: “Von deinem Tun und Lassen hängt absolut nichts für das Heil der Welt ab, weil unser Gott schon längst mit uns geht und sorgt“, gewinnt jene Leidenschaft, die auf´s Ganze geht, und die Gelassenheit, die sich zurücknehmen kann: “Weniger ist mehr!“

Genau das ist mit dem Aufbruch des Abraham gemeint: das widersinnige Spiel vom Verlust, der zum Gewinn wird und das wir spielen dürfen, weil Gott selbst dabei mitspielt. Er gibt nie auf, er weiß immer einen Ausweg, er liebt jeden so, als wenn es nur ihn allein auf der Welt gäbe. Und er liebt auch so seine Kirche. Es lebe unsere Wenigkeit von Gottes Gnaden!“

An uns Priester werden heute viele Erwartungen herangetragen. Da ist es eine große Kunst, Schwerpunkte zu setzen und eine noch größere, zur rechten Zeit NEIN zu sagen. Es braucht den geistlichen Mut zu Lücken, zur Unvollständigkeit, zur Stellvertretung. Hoffentlich bringt uns der Mangel an Priestern wenigstens zu der Einsicht, dass nicht in jeder Pfarrei das, was möglich ist, auch geschehen muss. Das ist Einheit der Kirche: In der Vielfalt aller Gemeinden lebt sie, aufeinander angewiesen, miteinander verwoben zur Gemeinschaft des Austauschs und der Bereicherung über die Messe hinaus. Jede Gemeinde ist Kirche, aber nicht jede muss sie vollständig sein. Diese Chance des Miteinanders in der Pfarreiengemeinschaft und im Pastoralen Raum sollten wir wahrnehmen. Das kann auch entlasten. Selbst wenn wir wieder mehr Priester hätten, dürften wir nicht mehr so weitermachen wie früher und die alten Vorstellungen von Kirche wieder beleben, die uns oft noch prägen.

Oft sind gerade bei uns Seelsorgerinnen und Seelsorgern die gefüllten Terminkalender zum Symbol vermeintlicher Unersetzbarkeit geworden. Lediglich die Toten bringen unsere Zeitpläne durcheinander. Ein gläubiger Mensch beschleunigt nicht: er hat Zeit und er bekommt Zeit, weil Gott ihm Zeit lässt. Mit Gelassenheit und Leidenschaft kann er tun, was gerade dran ist. Probieren wir es und schenken wir jemanden „unsere“ Zeit, obwohl wir keine haben! Wir werden erfahren: wir haben keine verloren!

„Zeit haben“ ist ein Gradmesser unseres Glaubens.  Es soll Seelsorger geben, die  immer ein schlechtes Gewissen haben, weil sie  an die 99 denken, denen sie sich nicht zuwenden können und dabei den einen übersehen, der gerade jetzt vor ihnen steht.

Es ist wie bei einem Rad: das Wichtigste ist die Nabe. Hier in der Mitte läuft alles zusammen. Auch wir leben von der Mitte her, wo wir ganz bei uns selbst sind und gehalten werden von Gott. Solange hier meine Lebenslast gebündelt ist, kann mich nicht einmal meine Unvollkommenheit umwerfen. Diese Nabe ist für uns Gläubige  der Gottesdienst und das Gebet. Der Gottesdienst ist keine Randerscheinung unseres Christseins, das einem nichts mehr bringt, weil zu wenig los ist – und meist immer nur das Gleiche geschieht.

Am ehesten wird nämlich ein so entlasteter, erlöster Umgang mit der Zeit in der Liturgie spürbar. Wir merken das an uns selbst, ob wir so frei sind, dass die Sonntagsmesse auch einmal länger als 50 Minuten dauern darf. Wir merken das daran, ob die Sonntagsmesse nur deshalb so oft gefeiert werden muss, damit ja alle Bedürfnisse und Wünsche  berücksichtigt werden, auch wenn die Gottesdienstgemeinde immer kleiner wird. Auch hier gilt gerade im Blick auf die Zukunft: “Weniger ist mehr“.

Manchmal singen wir Pfarrer das Klagelied von der „fortlaufenden“ Gemeinde und vom Gegenwind gesellschaftlicher Entwicklungen, die religiöses Leben im Keim ersticken. Das ist ja oft die Wirklichkeit. Jedoch: Ein Christentum, das, statt sich als Sauerteig für alle zu verstehen, einbildet, jemals alle Menschen in seinen Reihen zu haben, wird verschwinden. Ein Christentum aber, dem der Einzelne und die kleine Gruppe nicht zu wenig sind, das in vielen Austausch- und Weggemeinschaften lebt, braucht sich nicht zu verstecken.

Und noch eines: auch die Kirche ist vorläufig, Stückwerk, auf dem Weg. Sie ist noch nicht das Reich Gottes. Wir müssen nicht nervös werden, wenn jemand nicht alles an ihr gut findet. Die Kirche ist nicht Gott. Sie ist Haus Gottes und Tempel des Hl. Geistes auch mit ihren Schwächen und ihrer Schwerfälligkeit.

„Weniger ist mehr“. - Der abrahamitische Wüstenweg der Kirche verlangt Konzentration auf das Wesentliche. Wenn es unsere Berufung als Priester ist, Verkünder der Frohen Botschaft zu sein und die Christinnen und Christen zu unterstützen, die Freude des Evangeliums zu entdecken und daraus zu leben,  Seelsorger zu sein, dann dürfen wir uns nicht zu Funktionären erniedrigen lassen. Wir müssen  auch für unsere eigene Seele sorgen, uns im eigenen Lebenshaus auskennen und mit unseren eigenen Schatten versöhnt sein.

„Weniger ist mehr.“ - Ich halte es für das besondere Geschenk des Heiligen Geistes für einen Priester, wenn er immer mehr lernt, die Geister zu unterscheiden, wenn er sich zurücknimmt, aber vielmehr   die Gläubigen darin unterstützt, ihre eigene Berufung, ihre Fähigkeiten zu entdecken und als in Taufe und Firmung gesalbte Menschen mit Freude ihr Christsein zu leben.

Als Christen müssen wir das Nein-Sagen entdecken, zu den vielen Erwartungen, die wir uns oft selber stellen, den Druck, den wir uns machen: dies und jenes könnte noch geschehen, bis den Engagierten  vor Erschöpfung die Luft ausgeht und die Lust am Dienst in der Gemeinde verschwindet. Ein NEIN, das überlegt ist, verletzt nicht. Es gibt Profil, nimmt ernst und ist zugleich ein entschiedenes JA: zur Kirche, die nicht zuerst nach ihrer Bedeutung in der Gesellschaft fragt,  zur kleinen Glaubensgemeinschaft, zur eigenen Unvollständigkeit und zum Geist Gottes in jeder und jedem Getauften.

Statt dass wir immer wieder das Klagelied der kirchlichen Verdunstungserscheinungen singen, sollten wir viel lieber den Mut haben  JA zu sagen: Ja zu unserem Miteinander  als Volk Gottes in dieser unserer Gesellschaft, das sich wie Abraham von Gott heute rufen und auf den Weg schicken lässt. So können wir miteinander ein Segen sein.  Amen.

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Predigt beim festlichen Abendlob am 40. Weihetag (25.02.2024)

Lesung: 2 Kor 5,17-21 (der Text enthält den Primizspruch)

Es war einmal ein Mann, den ängstigte der Anblick seines eigenen Schattens so sehr, dass er beschloss, ihn hinter sich zu lassen. Er sagte zu sich: Ich laufe ihm einfach davon. So stand er auf und lief davon. Aber sein Schatten folgte ihm mühelos. Er sagte zu sich: Ich muss schneller laufen. Also lief er schneller und schneller, lief los lange, bis er tot zu Boden sank.

1. Es war einmal ein Mann.... - ein Mann – eine Frau – sie – ich – jedermann. Jedermann hat einen Schatten. Er gehört zu uns, er folgt uns auf dem Fuße. Jeder von uns wirft Schatten, nicht nur, wenn die Sonne scheint.
Daran werden wir oft gar nicht so gern erinnert.

Unsere Schatten haben verschiedene Gestalt. Manche Menschen sehen sich ganz in den Schatten gestellt. Sie werden nicht damit fertig, dass sie so sind, wie sie sind.  Sie werden damit nicht fertig, dass sie im Leben, im Beruf, keine Anerkennung finden, dass sie  sich aufs Abstellgleis abgeschoben fühlen oder mit den verfehlten Lebensentscheidungen nicht klar kommen. Es gibt Konflikte in Familien, die sich wie ein Schatten über das Leben legen.

Schatten werden sichtbar, wenn wir spüren, dass wir schuldig geworden sind, dass wir uns für die Stufen zu unserem Glück die Scherben aus dem Leben anderer geholt haben. Die Schatten des Alters … Wenn die Sonne sinkt, werden die Schatten länger. Es gibt Menschen, die haben eine unheimliche Angst vor dem Altwerden. Der Tod wirft seine Schatten voraus.

 Es war einmal ein Mann, den ängstigte der Anblick seines eigenen Schattens so sehr, dass er sagte: Ich laufe ihm einfach davon. Wahrhaftig: Es ist oft zum Davonlaufen. Der Anblick des eigenen Schattens – halten wir ihm stand?  Sind wir nicht ganz schnell auf der Flucht vor unserem Schatten?

2. Es war einmal ein Mann – sagen wir: eine Kirche, die ängstigte der Anblick des eigenen Schattens so sehr, dass sie sich sagte: Ich laufe ihm einfach davon.
Dass die Kirche Schatten wirft, wissen wir. Darüber brauchen wir nicht zu sprechen, darüber wird genug geredet, so viel, dass manche nur noch schwarz sehen, wenn sie „Kirche“ hören.
Die Kirche, das sind aber auch wir. Wir als Glieder der Kirche werfen Schatten.  Wir sind als Christen auch Menschen,  Menschen, die sich nicht riechen können, Menschen, die hassen und anderen den Vorteil nicht gönnen, Menschen, die andere ausnutzen, sie ihre Macht spüren lassen. So sind wir, Christen in den Gemeinden wie wir Priester: Christen, die Schatten werfen; nicht selten allzu menschlich, eng, kleinkariert, unchristlich, meist sehr durchschnittlich, kaum weltbewegend. So sind wir; so ist es in der Kirche. Und unser Schatten haftet der Kirche an. Darum sollten wir an uns denken, wenn wir an den Schatten denken, den die Kirche wirft. Können wir seinen Anblick ertragen? Stehen wir dazu, oder laufen wir weg?

Manche sagen: Kirche – guck dir diesen Laden an; es ist zum Davonlaufen. Und nicht wenige sagen´s nicht nur, sondern sie tun´s, sie laufen weg, sogar engagierte Christinnen und Christen in den Gemeinden.    Sie hatten vielleicht gedacht: Konzil, Erneuerung, synodaler Weg – jetzt wird’s anders. Eine neue Kirche,  die der Gesellschaft Impulse gibt. Vor einigen Tagen sagte mir jemand: Bei uns in der Kirche geht es zu wie bei der Ampelregierung. Es gibt ständig Streit unter den Bischöfen und mit Rom und es wird übereinander geredet. Wir haben es  mit  Menschen zu tun bis in die Chefetagen der Kirche und auch mit uns selbst, die wir  Schatten werfen.

Flucht vor dem Schatten, das kann auch so aussehen, dass wir meinen, Reformen verhindern zukünftig die Schatten von Schuld. Aber es sind eben die Menschen, die immer in der Gefahr sind, schuldig zu werden.

3. Es war einmal ein Mann – sagen wir: ein Volk, eine Gesellschaft, die ängstigte der Anblick ihres eigenen Schattens so sehr, dass sie zu sich sagte: Ich laufe ihm einfach davon. Wahrhaftig, man kann Angst kriegen, wenn man die Schatten sieht, die das vergangene Jahrhundert geworfen hat: 1914, 1933, 1939, und schließlich das Jahr 1945. Es war bei uns das Ende des Krieges. Es war aber auch das Jahr, in dem die erste Atombombe über einer von Menschen bewohnten Stadt gezündet wurde und mit ihrem grellen Licht die Welt in eine noch nie dagewesene Dunkelheit gehüllt hat. Doch da gibt es auch das Jahr 1989. Wir dachten: Jetzt  geht es mit der deutschen Einheit endlich aufwärts. Der Konfliktherd zwischen Ost und West ist weg. Und jetzt? Der Krieg wirft seine Schatten. Wir werden zu Fachleuten von Taurusflugkörpern und Panzertypen. Manche meinen, sie könnten den Schatten der Geschichte davonlaufen, indem sie sie klein reden oder meinen mit der Abschottung gegen Menschen wären die Probleme gelöst.

„Es war einmal ein Mann...“ - ein Mann – eine Frau – sie – ich – wir als Kirche – unsere Gesellschaft - „Es war einmal ein Mann, den ängstigte der Anblick seines eigenen Schattens so sehr, dass er sagte: Ich laufe ihm einfach davon. So stand er auf und lief davon. Aber sein Schatten folgte ihm mühelos. Er sagte zu sich: Ich muss schneller laufen. Also lief er schneller, lief so lange, bis er tot zu Boden sank.“

Ist das das Ende der Geschichte? Sie hat noch ein Nachwort:“Wäre er, sagt der chinesische Weise, wäre er einfach in den Schatten eines Baumes getreten, so wäre er seinen eigenen Schatten losgeworden. Aber darauf kam er nicht.“

Wie hätte er auch darauf kommen können, als er aus Angst vor seinem Schatten die Flucht ergriff. Man muss erst die Erfahrung machen, dass der eigene Schatten im Schatten eines Baumes aufgehoben ist, sonst läuft man aus Angst schneller und schneller, bis man am Ende tot zusammenbricht. Wo ist der Baum, der unseren Schatten aufnimmt, dem wir uns anvertrauen können, bei dem wir Rettung finden aus unserer Schuld, wo es Versöhnung gibt?

Hier sind wir mit unserer Weisheit am Ende. Hier lässt uns die Erzählung allein. Hier beginnt eine andere Geschichte, jene Geschichte, die Gott ins Werk gesetzt hat. Gott hat sich  unseren Schatten angenommen. Er hat in unserer Mitte einen Baum aufgerichtet, den Baum des Kreuzes, den Baum der Versöhnung. Und er lädt uns ein, dass wir uns seinem Schatten anvertrauen.

Die Erfahrung dieser Versöhnung spricht aus dem Lesungstext aus dem zweiten Korintherbrief des Apostels Paulus, den wir eben gehört haben:   „Das alles aber kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt hat...“ - Die Geschichte unserer Versöhnung geht von Gott aus, nicht von uns. Gott ist der Initiator dieser Geschichte. Auf dem Weg Christi, auf dem Weg des Kreuzes geschieht Versöhnung.  Er ging diesen Weg gehorsam zu Ende. Er stieg nicht aus. Er sagte nicht: “Es ist ja doch alles umsonst, Schluss!“ Aus!“ Er ging weiter, umsonst, wirklich umsonst, bis zum Tode, bis zum Tode am Kreuz.

Hier geht’s um uns; „für uns“ ist das geschehen. Auf diesem Weg hat Gott uns versöhnt.   Hier werden letzte Gründe unseres Glaubens sichtbar, hier wird sichtbar, was Erlösung heißt. Erlösung ist jener Vorgang, in dem wir uns, so wie wir sind, zu unserem Schatten bekennen und in den Schatten des Kreuzes treten. Wer diesen Schritt tut, der braucht nicht mehr aus Angst vor seinem Schatten davonzulaufen, er darf sich mit seiner Schuld und mit seinem Versagen angenommen und getragen wissen.

Und wir nun, Gesandte Christi, selbst in Schuld verstrickt und der Versöhnung bedürftig, was können wir Besseres tun, als das Wort der Versöhnung weiterzusagen. „Wir bitten euch an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“ Auch dazu sind wir geweiht, um diese Einladung auszusprechen. „Wir bitten euch...“: keine Anklage, keine Verurteilung; hier wird nicht auf die Pauke gehauen. Eine Einladung, keine Vorladung. „Lasst euch versöhnen...“ Eine Bitte, kein Stellungsbefehl; nicht: “Versöhnt euch!“ Gott sei Dank. Versöhnung, das geht nicht auf Kommando.   Dazu kann man nur einladen und bitten.  Gott lässt bitten, er lädt ein mit den ausgebreiteten Armen, den offenen Händen des Gekreuzigten: “Lasst euch versöhnen – mit Gott.“ Darum geht es, zuerst und zuletzt, um die Versöhnung mit Gott; nicht etwa darum nur, dass wir uns mit unserem Schatten aussöhnen, sondern, dass wir ihn annehmen und mit ihm vor Gott kommen. Unsere Schuld bringt uns vor Gott. In seiner Liebe nimmt er uns an. Das ist auch  mein Primizspruch: „Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen“. Eine Ordensschwester, Margarete Bulheller, die verstorbene Tante des Seniorchefs des Bestattungsunternehmens Bulheller und ehemaligen Kreisbrandrates, Peter Bulheller, fertigte mir zu diesem Primizspruch und zu dieser Geschichte vor 40 Jahren als Geschenk diese Stola. Damals hat mich die Gemeinschaft von Taizé in Burgund in Frankreich geprägt. Menschen verschiedener Konfessionen leben, auch gezeichnet von ihren eigenen Schatten, die Versöhnung. Mit unseren Schatten können wir in den Schatten des Kreuzes treten. Für mich eine ständige Erinnerung an diese Einladung, die Paulus an die Korinther ausgesprochen hat. Gerade in dieser österlichen Bußzeit sollten wir diese Einladung als großes Geschenk für uns entdecken und aus ihr leben. Amen


(Gedanken von Bischof em. Franz Kamphaus schenkten mir die Predigtidee)